Prof. Dr. Johann Ceh

Biberach

BärFrequently Asked Questions (Häufig gestellte Fragen)

F: Stimmt es, dass Übungen, die die Achtsamkeit (Mindfulness) fördern, Stress, Hektik, Ängsten und diversen psychosomatischen Beschwerden nachhaltig entgegenwirken?


A:  Ein Weiser des Ostens wurde einst von seinen Schülern gefragt, warum er so in sich ruhe und trotz seiner vielen Beschäftigungen so glücklich sei und so viel Liebe ausstrahle.
Er antwortete:
„Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich esse, dann esse ich, wenn ich liebe, dann liebe ich … .“
Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und  sagten: „Das tun wir doch auch, aber was machst du darüber hinaus?“ 
Er sagte: „Das tut ihr eben nicht. Wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon, wenn ihr steht, dann lauft ihr schon, wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel. Ihr seid sehr selten bei dem, was ihr gerade tut.“
TaschenuhrWir leben oft so, als hätten wir einen Autopiloten eingeschaltet. Wir fahren mit dem Auto zur Arbeit, sind aber die ganze Zeit gedanklich noch bei dem Familienstreit, den wir beim Frühstück hatten. Wir laufen vom Parkhaus zum Büro, sind aber im Geist schon längst bei der Sitzung, die erst einige Stunden später stattfinden wird. Oft sind wir mit unseren Gedanken noch in der Vergangenheit oder schon in der Zukunft statt im gegenwärtigen Augenblick. Weil wir darüber grübeln, was wir hätten anders machen sollen, weil wie uns ausmalen, was  zukünftig alles schiefgehen könnte, weil wir all unsere Hoffnung auf die Zukunft setzen und uns bildhaft vorstellen,  wie glücklich wir sein werden  - weil wir all das tun, versäumen wir die schönen Momente, die uns die Gegenwart bietet.

Dazu passt auch eine kleine Geschichte von der „Langsamkeit der Seele“, die Nossrat Peseschkian erzählt.
Landschaft„Damals, als noch keine Straßen das Land durchschnitten und es noch keine Autos gab, die Menschen so schnell wie der Wind vom Meer in die Berge bringen, kämpfte sich ein Missionar mit einer Schar von Trägern durch den afrikanischen Busch. Er hatte es eilig und trieb seine Führer zu immer schnellerem Gehen an, denn in drei Tagen wollte er sein Ziel erreichen. Der dritte Morgen zog herauf, strahlend stand die Sonne am Himmel, die Luft flimmerte, das hohe Gras bewegte sich sacht und die Vögel sangen.
Der Missionar drängte  zum Aufbruch, aber die Träger lagerten und wollten nicht aufstehen. Kein Zureden half, kein Befehl, kein Drohen. Endlich fragte er nach dem Grund ihres Zögerns und erhielt zur Antwort:
´Unsere Körper sind zwar hier, aber wir müssen warten, bis unsere Seelen nachgekommen sind`.“
Und wo haben wir unsere Orte, an denen unsere Seele nachkommen kann? „Wenn ich gehe, dann gehe ich !“ Diese Aussage verdeutlicht exemplarisch, worum es bei der Praxis der Achtsamkeit geht. Sie brauchen weder täglich stundenlang zu meditieren, noch müssen Sie sich in ein Kloster zurückziehen, um Achtsamkeit zu erlernen.  Notwendig ist nur der Wunsch und die Zielvorstellung, wach und präsent durchs Leben zu gehen und die Bereitschaft, sich dafür etwas Zeit zu nehmen.
Orientieren Sie sich an dem Motto: „Tue alles, was du tust ganz, so findest du mitten im Alltag den Weg in die Tiefe.“
Meister Eckhart rät: „Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht, das notwendigste Werk ist stets die Liebe.“

Das Konzept der Achtsamkeit besteht aus Aufmerksamkeit und Akzeptanz. Akzeptanz bedeutet aber nicht, alles auf Dauer hinzunehmen, sondern nur es für den jetzigen Moment anzunehmen. Aus dieser  Haltung heraus können notwendige Veränderungsprozesse erkannt und weitere Schritte eingeleitet und umgesetzt werden. Akzeptanz ist die wichtigste Grundhaltung der Achtsamkeit. Ziel ist es, sich selbst und anderen eine wertfreie und interessierte Offenheit entgegenzubringen.
Achtsamkeit (engl. Mindfulness) ist eine spezielle Form der Aufmerksamkeitslenkung. Es ist das absichtsvolle, unabgelenkte, annehmende Beobachten und Gewahrwerden dessen, was  im Augenblick der jeweiligen gegenwärtigen äußeren und inneren Erfahrung geschieht, ohne irgendeine Bewertung positiver oder negativer Art.

Achtsamkeit als eigenständiges Konzept wurde Ende der 70-er Jahre von dem US-amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn formuliert.
Im psychotherapeutischen Kontext wird Achtsamkeit inzwischen bisweilen bereits als „3.Welle der Verhaltenstherapie“  bezeichnet (1. Welle: Behaviorismus …Verhalten; 2. Welle: Kognition … Denken).
Achtsamkeit ist auch das zentrale Thema im Zen, eine Meditationsform, die im 6. Jahrhundert in China entwickelt wurde. Zen umfassend zu praktizieren bedeutet: Im Augenblick zu leben, ohne ihn zu beurteilen, den Geist zu beruhigen, konzentriert zu handeln, nichts erreichen zu wollen und von allem unabhängig zu sein.
Die beschriebenen,  nachgewiesenen und vielfach dokumentierten Wirkungen von Achtsamkeit sind äußerst vielgestaltig. Regelmäßig, systematisch  und langdauernd praktizierte Achtsamkeit bewirkt demnach eine anhaltende Verminderung von körperlichen und psychischen Beschwerden , eine Verringerung von Stress, Angst und anderen „toxischen“ Emotionen (z.B. Ärger, Missgunst, Neid, Wut,…), eine Verbesserung der Selbstwirksamkeit und eine Förderung der Resilienz und der Empathie.
Es entwickelt sich eine gelassene, positive Lebenseinstellung und ein stabiles psychisches Gleichgewicht. Achtsamkeit ist erlernbar. Das strukturierte MBSR-Programm (Mindfulness Based Stress Reduction) von Jon Kabat-Zinn hat sich außerordentlich bewährt. Es besteht aus formalen Achtsamkeitsübungen wie Körperwahrnehmung (Body-Scan), Sitz- und Gehmeditation und Anleitungen zur Integration von Achtsamkeit in den Alltag.  
 



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