Frequently Asked Questions (Häufig gestellte Fragen)
F: Welche Auswirkungen auf mein Befinden können Kränkungen haben?
A: Was kränkt, macht krank
Das Wort „Kränkung“ leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort „krenken“ her, was schwächen, mindern, zunichtemachen, plagen, erniedrigen bedeutet. „Kranc“ ist der zweite Wortstamm und heißt: schmal, gering, schwach. Genauso fühlen wir uns nach einer Kränkung.
Kränkungen sind universell verbreitet, im partnerschaftlichen,
beruflichen, gesellschaftlichen Umfeld. Kränkung hat zu tun mit
Liebesentzug und Zurückweisung. Das Spektrum der Kränkungen ist weit.
Es
reicht von „Jemanden-schief-Anschauen“ bis hin zu beleidigenden
Äußerungen.
Eine sehr schlimme Kränkung ist das Mobbing.
Auch
Trennungsprozesse sind oft gekennzeichnet von einer ganzen Reihe
gegenseitiger Kränkungen.
Eine Kränkung schwächt unser Selbstwertgefühl. Wir haben das Empfinden,
zu kurz zu kommen, wenig wert zu sein, übersehen zu werden,
benachteiligt zu sein, ungerecht behandelt, verkannt zu werden.
Eine
Kränkung ist immer ein Angriff auf unser Ich, auf das Selbst und die
eigenen Werte. Entwertungen berühren direkt unser Selbstwertgefühl, da
wir uns nicht respektiert, wertgeschätzt, angenommen und verstanden
fühlen.
Neben Kränkungen durch andere gibt es auch Selbstkränkungen, die durch Selbstentwertungen gekennzeichnet sind. In diesen Fällen wertet sich eine Person selber ab und spielt ihre Wichtigkeit für sich und andere herunter. Menschen kränken sich beispielsweise selbst, indem, sie ihre Ansprüche so hoch schrauben, dass sie nicht erfüllbar sind und sie mit dem ständigen Gefühl leben, nicht zu genügen.
Wir haben die Grundbedürfnisse, für andere eine Bedeutung zu haben, für sie eine Rolle zu spielen, wertgeschätzt und geliebt zu werden und dazu zu gehören. Bekanntlich erfüllt nichts mehr, als gebraucht zu werden. Wenn diese Bedürfnisse unerfüllt bleiben oder absichtlich verletzt werden, fühlen wir uns gekränkt.
Im Rahmen der psychologischen Beratung kann ich nicht selten feststellen, dass schwere, nicht verarbeitete Kränkungen vorhanden sind. Die Sprache junger Menschen ist sehr cool, man gibt nach außen das Pokerface nach dem Motto „Nichts kann mich berühren“. Aber die Realität ist eine ganz andere. Junge Leute sind extrem verletzlich und sie haben ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Anerkennung, Wertschätzung, Liebe. Dieser Zwiespalt zwischen Coolness und Verletzlichkeit ist der Boden, auf dem Kränkungen gedeihen können.
Im Gespräch zeigt sich des Öfteren, dass auch in der Erziehung Fehler gemacht wurden, was die schwierige Gratwanderung zwischen Fordern und Verwöhnen angeht. Wird ein Mensch übermäßig verwöhnt, bekommt er eine „sehr dünne Haut“ und wird extrem kränkbar. Aber das passiert auch, wenn er zu wenig Zuwendung bekommt.
Was unterscheidet die Kränkung von einer „normalen“ Enttäuschung? Enttäuschungen sind eher „akut“, Kränkungen haben einen nachhaltigen Effekt, werden meistens verdrängt und entfalten dadurch eine destruktive Wirkung. Außerdem treffen Kränkungen uns an sensiblen Stellen. Das müssen nicht unbedingt wunde Punkte sein, es können auch Werte sein, die uns wichtig sind. Die Enttäuschung ist ein Element der Kränkung. Was sind überhaupt die Motive, einen anderen zu kränken? Manchmal ist es einfach nur Gedankenlosigkeit, manchmal aber auch ein ganz bewusstes Vorgehen, die Absicht andere zu demütigen, zu beschädigen. Nicht selten vertauschen gekränkte Wesen die Rollen und kränken andere. Das ist eine Art psychischer Reparaturmechanismus.
Seit einer Reihe von Jahren nimmt der Narzissmus, also die Ichbezogenheit stark zu. Wenn der Narzissmus zunimmt, nimmt auch die Kränkbarkeit zu. Denn durch ihre starke Ichbezogenheit kränken Narzissten häufig andere und sind dabei selbst extrem kränkbar.
Aggressionspotential als eine Art Vitalkraft, die wir alle haben, muss nicht in Kränkungen münden, sondern kann zum Beispiel in Leistungen umgewandelt werden. Auch der Machtkampf in der Gesellschaft bringt viele Kränkungen mit sich. Ein weiterer Grund für Kränkungen ist, dass manche Menschen sich nicht in andere einfühlen können.
Welche Folgen haben Kränkungen?
„Was kränkt, macht krank“, das hat Hildegard von Bingen schon gesagt. Psychosomatische Krankheiten wie Magenbeschwerden, Rückenschmerzen, Druck im Brustbereich oder Migräneanfälle sind oftmals auf Kränkungen zurückzuführen. Auch Suchterkrankungen können eine unbearbeitete Kränkung als Ursache haben. Nicht zuletzt sind Verbitterungszustände und Burnout eine typische Folge von Gekränktheit.
Kränkungen können bis hin zu schweren Auseinandersetzungen und Kriegen führen. Bei Schulamokläufen sind Kränkungen eine zentrale Ursache. Auch die Taten von Terroristen sind zum Teil Kränkungsreaktionen, weil sie sich – Beispiel Charlie Hebdo – in ihren Werten angegriffen fühlen.
Den wunden Punkt entdecken
Wenn unser „wunder Punkt“ getroffen wird, sind wir gekränkt. Der wunde
Punkt liegt da, wo früher erlittene Kränkungen noch nicht verheilt sind
und durch neue ähnliche Erlebnisse wieder aktiviert werden. Kränkungen
haben also auch eine Vergangenheit. Unser Schmerz oder unsere Wut sind
nicht nur die gerade aktuellen, sondern die Summe der bereits früher
erlebten Wut und Schmerzgefühle. Das erklärt so manche übersteigerte
Reaktion unsererseits: Wir bekämpfen nicht nur unser derzeitiges
Gegenüber, sondern alle früheren Wutauslöser gleich noch mit.
Doch ich habe es in der Hand, mit entsprechenden Situationen angemessen umzugehen: Ich kann überlegen, in welche alte Wunde hier gestochen wurde und ich kann unterscheiden: Welche Reaktion gehört zu dem aktuellen Menschen, der mich soeben gekränkt hat, und welche zu einem „früheren“?
Kränkungen bergen auch Chancen …
Bei positiver Betrachtungsweise kann man aus Kränkungen viel an
Selbsterkenntnis und auch Fremderkenntnis ableiten. Ich lerne nicht nur,
wo meine eigenen empfindlichen Stellen sind, sondern ich lerne auch eine
neue Seite anderer Menschen kennen. Man sagt ja oft – positiv oder
negativ gemeint: „Dem/der hätte ich das nie zugetraut!“ Indem ich auf
meine eigenen Kränkungen schaue und die Kränkungsgrenzen anderer
abschätzen lerne, steigt meine Empathiefähigkeit.
Wie kann man Kränkungen entmachten, sie überwinden? Wie kann man
unbeschadet(er) aus Kränkungen herauskommen?
Die gute Nachricht ist: Ich entscheide, was mich kränkt. Ich selbst und
ich allein habe es in der Hand, wer und was mich kränkt, wie sehr ich
mich kränken lasse und wie ich so mit einer Kränkung umgehe, dass
Konflikte beendet werden oder gar nicht erst neu entstehen.
Ich übernehme die Verantwortung für meine Gefühle und meine
Befindlichkeit. Nicht der andere, ich selbst entscheide, was mich kränkt
und was nicht.
Es war die US-Präsidentengattin Eleanor Roosevelt, die einmal sagte: „Niemand kann ohne dein Einverständnis bewirken, dass du dich unterlegen fühlst.“ Oft gehen uns Dinge nah, die gar nicht viel mit der Realität zu tun haben. Ein Beispiel: Man betritt einen Raum und die beiden Kolleginnen verstummen. Sofort scheint klar: Die haben über mich gesprochen! Und zwar schlecht! Mit der Realität hat dieses Verhalten in der Regel gar nichts zu tun. Aber das erfährt man vielleicht erst Monate später, wenn sich herausstellt, dass eine der beiden schwanger ist und zu Beginn der Schwangerschaft mit so wenigen Leuten wie nötig darüber sprechen wollte.
Kränkungen kann ich überwinden, indem ich eine andere Einstellung zu ihnen entwickele. Indem ich vielleicht sage, die Kränkung zeigt mir, wo meine eigenen Probleme liegen, in dem ich versuche, zu verstehen, was mir die Kränkung sagen will. Auch in der Gelassenheit, im Loslassen liegt eine große Chance. Im Folgenden gebe ich Ihnen einige Tipps, die Ihnen helfen können, sich nicht mehr von den üblichen Kränkungen den Tag verderben zu lassen. Atmen Sie bei einer Kränkung bewusst lange und intensiv aus. Ausatmen entspannt. Anspannung wirkt sich auch auf das Gehirn aus. Wird der Körper vom Stresshormon Cortisol geflutet, sinkt zum Beispiel die Fähigkeit, kreativ zu denken. Dann fällt es besonders schwer, eine Lösung für ein Problem zu finden.
Bewegung hilft Ihnen aus der Starre der Kränkung herauszufinden. Bewegung ist die naturgegebene Antwort auf Stress (fight or flight) Stellen Sie Distanz her, nicht Beziehungsabbruch. Verlassen Sie für kurze Zeit das Feld. In der Distanz können Sie entscheiden: Was ist Ihr Anteil an dieser schwierigen Situation und welche Schuld ist nicht die Ihre. Nehmen Sie die Dinge nicht zu persönlich. Sie sind zwar wichtig, aber nicht alles, was passiert hat mit Ihnen zu tun. Es kann „tausend“ Gründe für das Verhalten des anderen geben. Rücken Sie die Dinge in die richtige Perspektive. Um sich nicht in Selbstzweifeln und dem Gefühl der Enttäuschung zu verlieren, hilft es, die eigene Situation im größeren Kontext zu sehen: Welche Bedeutung hat der Vorfall für das gesamte Leben? Welche Lebensbereiche bleiben von der Kränkung verschont?
Treffen Sie Entscheidungen statt abzuwarten. Kaum etwas setzt den Körper stärker unter Stress als Kontrollverlust und das Gefühl, machtlos zu sein. Dabei kann jeder aus der Opferrolle heraustreten, indem er Entscheidungen aktiv herbeiführt.
Erinnern Sie sich an vergangene Erfolge. Jeder hat im
Leben schon Hürden gemeistert – und war dabei vermutlich selbst
überrascht, was Körper und Psyche ggf. leisten können. Was die anderen
denken, sollte Ihnen in der Regel egal sein. „Kopftheater“ nennt man das
Nachdenken darüber, was andere denken könnten. Ein Ritual kann die
Gedankenspirale stoppen: Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf etwas
Neues.
Die edelste Form der Überwindung einer Kränkung wäre es, zu verzeihen –
das hilft nicht nur dem anderen, sondern auch mir selbst.
Wer beständig mit großer Betroffenheit erzählt, was andere ihm Schlimmes angetan haben, lässt im Grunde die Vergangenheit sein Hier und Jetzt bestimmen. So wird das erlebte Unrecht, die Demütigung ständig wiederholt. Wer nicht verzeihen kann, schneidet sich damit quasi ins eigene Fleisch.
Der frühere US-Präsident Bill Clinton soll bei einer persönlichen Begegnung den Anti-Apardheidskämpfer Nelson Mandela gefragt haben, wie dieser seinen Gefängniswärtern vergeben konnte. Mandela soll geantwortet haben, dass ihm bei seiner Freilassung nach 27 Jahren Haft – während des Durchschreitens des Gefängnistores durch den Kopf gegangen sei: „Wenn ich diese Menschen weiter hasse, dann bleibe ich im Gefängnis.“
Bilder: gemenu / wikimedia