Frequently Asked Questions (Häufig gestellte Fragen)
F: Stimmt es, dass die
Gehirnforschung eine Reihe von pseudowissenschaftlichen Hypothesen
(„Neuro-Mythen“) über psychische Prozesse (zum Beispiel: Das Lernen) ad
absurdum geführt hat?
A: Unser Gehirn gehört zu den letzten großen Rätseln unserer eigenen Biologie. Um unser Denkorgan ranken sich Legenden, Halbwahrheiten, hartnäckige pseudowissenschaftliche Mythen.
Eine Auswahl ...
Mythos: Hirnjogging macht schlau
Wenn jemand regelmäßig joggt, steigert er
damit seine Laufleistung und er verbessert dadurch sein
Leistungsvermögen auch in anderen Sportarten (Radfahren, Schwimmen,
Tennis, ….). Das Gehirn zu fordern und zu trainieren - wie einen Muskel
- ist eine naheliegende Methode, um geistig fit zu bleiben – doch ihre
Wirkung ist umstritten. In einer groß angelegten Online-Studie
(Neuropsychologe Adrian Owen und Kollegen, University of Cambridge) an
der mehr als 11.000 Versuchsteilnehmer 6 Wochen lang teilnahmen wurden
nach dem Zufallsprinzip 3 Gruppen gebildet.
Die Mitglieder der ersten Gruppe erhielten Trainingsaufgaben zu
Schlussfolgern, Planen und Problemlösen, die zweite Gruppe Aufgaben für
Gedächtnis, Aufmerksamkeit, räumliches Vorstellungsvermögen und
mathematisches Verständnis, die Mitglieder der dritten Gruppe
(Vergleichsgruppe) mussten belanglose Fragen beantworten. Ergebnis: Die
ersten beiden Gruppen verbesserten sich – im Gegensatz zur dritten – in
den Bereichen, in denen sie geübt hatten. Das Training hatte jedoch
keine Auswirkungen auf die generelle geistige Leistungsfähigkeit, die
„allgemeine Intelligenz“. Das bedeutet: Sudoku-Spielen führt nur dazu,
dass man im Sudoku-Spielen besser wird.
Mythos: Unterschiedliche Lerntypen
Der Biochemiker Frederic Vester benutzte in
seinem Bestseller „Denken, Lernen, Vergessen“ (1975) – entsprechend den
Präferenzen, den einen oder anderen Sinneskanal zur Aufnahme von Wissen
verstärkt einzusetzen – den Begriff des „Lernstils“. Vester unterteilte
Menschen in visuelle, auditive, haptische und verbal-abstrakte
Lerntypen. In einer Reihe von Bildungseinrichtungen werden die Kinder –
dieser These folgend - getestet und in visuelle, auditive oder
motorische Lerner eingeteilt. In objektiven Tests zeigte sich jedoch:
Es gibt keine signifikanten Unterschiede. Ein auditiver Typ lernt mit
Bildern genau so gut oder schlecht wie ein visueller. Alle Kinder hatten
die besten Lernergebnisse, wenn beim Lernen möglichst viele Sinneskanäle
angesprochen wurden. Durch die „Mehrkanalität“ entsteht eine breit
vernetzte Gedächtnisspur (quasi ein breiter „neuronaler Trampelpfad“),
die sich bei der Wiedergabe des Gelernten leichter aktivieren lässt.
Mythos: Wir nutzen unser Gehirn nur zu 10 Prozent.
Die Anwendung
bildgebender Verfahren (fMRT, PET,...) in der Hirnforschung zeigt, dass
zu jedem Zeitpunkt nur kleine Teile unseres Gehirns aktiv sind.
Allerdings: Rechtfertigt diese Tatsache auch den Schluss, dass wir nur
einen kleinen Teil unseres Gehirns benutzen? Unser Gehirn wiegt etwa 2
Prozent der Masse unseres Körpers und es verbraucht ungefähr 20 Prozent
der gesamten Körperenergie. Die Hälfte dieses Energiebedarfs wird für
die Sicherstellung der Betriebsbereitschaft unseres Gehirns benötigt. Es
werden Ruhepotentiale aufrechterhalten, die für die geistigen
Aktivitäten zur Verfügung stehen. Das Gehirn ist dabei extrem sparsam:
Es aktiviert stets nur die relevanten Bereiche.
Allerdings: Intelligente Menschen aktivieren ihr Gehirn beim Lösen von
Aufgaben weniger, aber zielgenauer. Die Annahme, dass nur ein kleiner
Teil unseres Gehirns genutzt wird – dass also ein Großteil unseres
Potentials brach liegt und nur darauf wartet, geborgen zu werden – ist
also falsch; sie ist ein Neuromythos. Die verschiedenen Bereiche unseres
Gehirns werden nicht gleichzeitig, sondern nacheinander aktiviert.
Die unhaltbare These, dass wir nur 10 Prozent unseres Gehirns nutzen,
wird auch von Scientologen vertreten. Sie gehen mit dem Versprechen auf
Menschenfang, auch die restlichen 90 Prozent freizusetzen.
Mythos: Gehirnforscher haben bewiesen, dass der freie Wille eine Illusion ist.
Die umstrittene Behauptung der Hirnforschung,
es gebe keinen freien Willen, hat viel öffentliches Interesse ausgelöst.
Aus Sicht der Philosophie geht es dabei um den „Determinismus“, also die
Vorstellung, dass zukünftige Ereignisse durch aktuell herrschende
Bedingungen bereits vorherbestimmt sind. Seit Jahrhunderten streiten
Philosophen darüber, ob der menschliche Geist durch natürliche oder
göttliche Gesetze determiniert ist. Im Zusammenhang mit Willensfreiheit
stellt sich die Frage, inwieweit unser Unterbewusstsein unsere
Entscheidungen diktiert.
Die zu untersuchende These lautet: Wir denken zwar, wir hätten bewusste
Kontrolle über uns selbst, in Wirklichkeit bestimmen aber unbewusste
Gehirnprozesse unser Handeln.
Insbesondere die Ergebnisse einer Serie von Experimenten des
US-amerikanischen Neurowissenschaftlers Benjamin Libet (University of
California in San Francisco) interpretieren manche Hirnforscher als
Widerlegung der Willensfreiheit. Libet maß 1983 mittels EEG die
Hirnströme seiner Versuchsteilnehmer. Schon Zehntelsekunden bevor sie
nach eigenen Angaben einen bewussten Drang verspürten, ihren Finger zu
bewegen, trat ein elektrisches Signal auf, das die Bewegung vorhersagen
konnte – ein sogenanntes Bereitschaftspotential. Der Berliner
Neurowissenschaftler John-Dylan Haynes wiederholte das Experiment 2008
im Magnetresonanztomographen.
Fazit: Die Entscheidung steht im Gehirn nicht Zehntelsekunden, sondern
häufig bereits 10 Sekunden fest, bevor sie ins Bewusstsein dringt. Ist
damit bewiesen, dass der freie Wille eine Illusion ist?
Beim Libet-Experiment und seinen Nachfolgern bleiben wichtige
Kennzeichen freier Willensbeschlüsse außen vor. Die Experimente
ignorieren den Zeithorizont menschlicher Entscheidungen. Das
langfristige Planen von Handlungen hat sich als sehr wichtig
herausgestellt. Wer Situationen zuerst visualisiert (sie sich also erst
vor dem inneren Auge vorstellt) oder bereits bestimmte Verhaltensregeln
formuliert, führt eine beabsichtigte Handlung mit größerer
Wahrscheinlichkeit erfolgreich aus. Menschen planen ihre Handlungen oft
lange im Voraus, manchmal brechen sie diese auch mittendrin ab. Beides
war in den Experimenten verboten. Zudem: Der gemessene spontane Drang,
einen Knopf zu drücken, ist für den Alltag relativ irrelevant. Das
Libet-Experiment und seine Nachfolger haben der Debatte um die
Willensfreiheit kein Ende bereitet, auch wenn manche Wissenschaftler
etwas anderes behaupten.
Mythos: Multitasking
Niemand kann mehrere komplexe Tätigkeiten zeitsparend und fehlerfrei gleichzeitig ausführen.
Es gibt ganz eindeutig keine „parallelen Aufmerksamkeiten“. Wir können nicht an zwei Dinge gleichzeitig denken! Der Mensch kann nur zwischen zwei Konzentrationsobjekten hin und her wechseln. Wenn er das tut, gehen allerdings wichtige Informationspartikel verloren und die Energie, die für konzentriertes Arbeiten notwendig ist, ist schnell erschöpft. Multitasking ist ein Mythos.
Vgl. auch FAQ: „Ich habe oft große Probleme
mich zu konzentrieren, ganz bei der Sache zu sein. Welche Hilfen zur
Lösung meines Problems bietet die Psychologie an?“