Prof. Dr. Johann Ceh

Biberach

BärFrequently Asked Questions (Häufig gestellte Fragen)

F: Was versteht man unter einer selbsterfüllenden Prophezeiung (self-fulfilling-prophecy) und wie kann man dieses psychologische Phänomen für sich positiv nutzen?


A:    Der Begriff geht zurück auf den amerikanischen Soziologen R. K. Merton und ist die Bezeichnung für eine sich selbst bestätigende Vorhersage. Das Konzept besagt, dass das, was wir erwarten oder befürchten, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich eintritt. Wenn wir ein bestimmtes Verhalten oder Ergebnis erwarten, tragen wir selbst dazu bei, dass  dieses Verhalten oder Ergebnis Realität wird. Optimisten und Pessimisten sind beide verlässliche Propheten. Wer mit dem guten Ausgang einer Sache rechnet, behält ebenso oft Recht, wie der Pessimist, der den schlechten Ausgang  ins Kalkül zieht.  Teufelskreis
Aber: Der Optimist lebt froher.

Ob du glaubst, du kannst etwas oder ob du glaubst, du kannst etwas nicht. Du wirst immer Recht behalten.

Henry Ford

Es geht um eine Voraussage oder eine Erwartung, die ihre eigene Erfüllung  selbst verursacht. Erwartet jemand zum Beispiel ein bestimmtes Verhalten von seinem Gegenüber, „erzwingt“  er durch sein eigenes Verhalten genau dieses Verhalten. Im Gegensatz zur selbsterfüllenden Prophezeiung steht die selbstzerstörende Prophezeiung, bei der der Betreffende sich so verhält, dass die Prophezeiung gerade nicht in Erfüllung geht. Durch unser Zutun wird dabei  eben dafür gesorgt, dass ein Ergebnis gerade nicht eintritt. Beispiele:   

- Die Vorhersage eines Unglücks (etwa einer Brandkatastrophe) führt dazu, dass Maßnahmen eingeleitet werden, die dieses Unglück unmöglich machen.

- Ein Attentat wird vorhergesagt, weshalb Gegenmaßnahmen ergriffen werden, sodass, das Attentat vereitelt wird.

Selbsterfüllende Prophezeiungen sind auch als „Pygmalioneffekt“ bekannt.Pygmalion ShawPygmalion, ein Bildhauer aus der griechischen Mythologie, schuf die Statue einer Frau, die in seinen Augen so schön und  vollkommen war, dass er sich unsterblich in sie verliebte. Er bestürmte die Götter – angeführt von Aphrodite – mit seinem heftigen Wunsch, seine Marmorstatue zu einem Menschen werden zu lassen. Der Wunsch wurde so intensiv vorgebracht, dass die Götter gar nicht anders konnten, als ihn zu erfüllen. Eine passende Illustration des Pygmalioneffekts liefert George Bernard Shaws Theaterstück „Pygmalion“. In den 1960er-Jahren erforschten der Psychologe Robert Rosenthal und die Schulleiterin Lenore Jacobson den Pygmalioneffekt. Im Rahmen einer Studie an amerikanischen Grund- schulen wählten sie einige Schüler rein zufällig aus und erklärten den Lehrern, dass diese Kinder besonders begabt seien und dass bei ihnen in nächster Zeit eine große Leistungssteigerung zu erwarten sei. Tests nach einem Jahr zeigten, dass genau diese zufällig aus- gewählten Schüler ihre Leistungen viel stärker steigern konnten als die Schüler einer Kontrollgruppe. Die Erwartung der Lehrer hat das Verhalten im Unterricht gegenüber diesen Schülern durch die Schaffung einer freundlicheren und spannenderen Lernatmosphäre und durch die häufigere  Nutzung von Lob und konstruktiver Kritik so beeinflusst, dass die Prophezeiung der Versuchsleitung  wahr wurde. Hätte Rosenthal den Lehrern nicht gesagt, dass in den ausgewählten Schülern ungeahnte Talente schlummern, sondern dass bei ihnen einfach „Hopfen und Malz“ verloren wäre, hätten die Lehrer den Schülern sicherlich weniger Beachtung geschenkt und nur ein Minimum an Zeit in diese Kinder investiert. Der Lehrer bildet sich auf der Grundlage von Vorinformationen und eigenen Beobachtungen eine bestimmte Erwartungshaltung. Er behandelt die Kinder gemäß diesen Erwartungen. Sind die Erwartungen positiv, hört der Lehrer den Kindern besser zu, lobt öfter, ermutigt und zeigt Interesse. Er traut den Kindern mehr zu. Sind die Erwartungen jedoch negativ, tadelt der Lehrer häufiger. Er hat weniger Geduld und zeigt dies deutlich. Nicht immer geschieht das über Worte: Ein Hochziehen der Augenbrauen, ein Seufzer oder Augenrollen signalisieren ebenfalls, dass man wenig von einem anderen Menschen hält. In der Medizin wurde der Einfluss der Erwartung bzw. der positiven selbsterfüllenden Prophezeiung bei den Forschungen zum Placebo-Effekt deutlich.

Ein Placebo ist ein Mittel, das wie ein richtiges Medikament aussieht, jedoch keine Wirkstoffe enthält. Der einzige Wirkstoff, der in Placebos ist, ist der Glaube an die Wirkung. Wenn wir von etwas fest überzeugt sind, wenn wir zum Beispiel an unsere Genesung glauben, dann setzt unser Körper Selbstheilungskräfte frei.  Es ist empirisch gesichert: Die Erwartung, gesund zu werden, führt zu realen biochemischen und körperlichen Veränderungen. Was wir uns einbilden wird wahr – im Positiven wie im Negativen. Wer krank ist und sich prophezeit, nie mehr gesund zu werden, hat große Chancen, dass er Recht behält. Zuversicht ist eine Gesundheitsressource! Wer ein Medikament nimmt, von dem er weiß, dass es schädliche Nebenwirkungen hat, wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein Opfer des Nocebo-Effektes, d. h. er spürt die Nebenwirkungen einfach deshalb, weil er damit rechnet. Auch bei der Hypnose geht es um selbsterfüllende Prophezeiungen. Wenn man zum Beispiel  jemand hypnotisiert und ihm erzählt, dass man ihm eine glühendheiße Münze auf die Hand legt, bildet sich    -  auch bei einem kalten Geldstück  -  eine Brandblase.

 Unsere Erwartungen beeinflussen unser Verhalten und unsere Wahrnehmung. Was wir wahrnehmen hängt vor allem davon ab, was wir für relevant und möglich (erwartbar) halten und damit in den Fokus unserer Aufmerksamkeit nehmen (selektive Wahrnehmung).  
Selektive Wahrnehmung ist ein psychologisches Phänomen und bedeutet, dass  –  aufgrund von Wünschen oder bis- her gemachten Erfahrungen  –  nur bestimmte Inhalte wahrgenommen werden und andere ausgeblendet werden.

Ein klassisches Beispiel für selbsterfüllende Prophezeiungen ist der sog. Misserfolgs- und Erfolgskreislauf.  Die anfängliche Erwartung wird dabei mit großer Wahrscheinlichkeit bestätigt: Negative Erwartung  →  Verzagtes Handeln („Wird doch eh nichts!“)  →  Unbefriedigende Ergebnisse →  Erwartungsbestätigung  →  Negative Erwartung.   Durch die selektive Wahrnehmung wird eine solche Bewertung noch verstärkt: Mit besonderer Aufmerksamkeit werden gerade die Ergebnisse registriert, die der anfänglichen Erwartung entsprechen. Andere Ergebnisse werden entweder nicht gesehen oder heruntergespielt nach dem Motto: „Zufälle gibt es immer wieder!“ Dito funktioniert der Zirkel im Falle der Erfolgserwartung. Positive Erfahrungen führen zu beherztem Handeln („Wollen wir doch mal sehen!“), was positive Ergebnisse erbringt, die durch selektive Wahrnehmung noch verstärkt registriert werden („Siehst du!“), was in der Folge die anfänglichen Erwartungen bestätigt  und in der nächsten Runde erneut und verstärkt zu einer positiven Erwartungshaltung führt. Wir tun alles dafür, dass unsere Prophezeiungen in Erfüllung gehen! Wer zum Beispiel davon überzeugt ist, beim anderen Geschlecht keine Chancen zu haben, wird sich auch so benehmen wie jemand, der keine Chancen hat und für das andere Geschlecht uninteressant ist: Zaghaft sein, sich im Hintergrund halten, sich in sein „Schneckenhaus“ zurückziehen - und deshalb Single bleiben. Wer jemand kühl und reserviert begegnet, muss damit rechnen, dass der andere zurückhaltend und abweisend reagiert.

Wenn ich fest davon überzeugt bin, man missachtet mich  –  wieso auch immer  -  werde ich mich eben deswegen überempfindlich, misstrauisch und deshalb wiederum unverträglich benehmen, was bei anderen Menschen genau jene Geringschätzung hervorruft, die meine immer schon gehegte Überzeugung erneut „beweist“. Wer davon überzeugt ist, bei allem, was er anpackt, zu versagen, geht entweder nur halbherzig an eine Sache heran oder gibt sich erst gar nicht die Chance, sich vom Gegenteil zu überzeugen, d.h. er unternimmt nichts und bleibt passiv.positiv Die Gesetzmäßigkeiten der selbsterfüllenden Prophezeiung können Sie für sich ausnutzen, indem Sie fortan mit positiven statt mit negativen Glaubenssätzen arbeiten. Sie strahlen dann automatisch das aus, was Sie Gutes von sich denken und werden auch so wahrgenommen.  

„Man erntet, was man sät. Warum also nicht die Kraft der selbsterfüllenden Prophezeiung nutzen und stets mit einem guten Ausgang rechnen? Was haben Sie zu verlieren?“

Doris Wolf

Bildquellen: gemenu; wikimedia.org



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