Prof. Dr. Johann Ceh

Biberach

BärFrequently Asked Questions (Häufig gestellte Fragen)

F: Stärken ausbauen oder Schwächen ausbügeln? Was ist für eine positive Persönlichkeitsentwicklung wirkungsvoller?

A:     1999 stellte der US-amerikanische Depressionsforscher Martin Seligman auf einem Kongress das Konzept der Positiven Psychologie vor. Während die Psychologie sich früher hauptsächlich mit Therapie und Heilung von psychischen Auffälligkeiten beschäftigte und zu klären versuchte, was uns unglücklich macht, befasst sich dieser neue Forschungsschwerpunkt der akademischen Psychologie mit der Förderung von Lebenszufriedenheit, Wohlbefinden, Resilienz und persönlichen Stärken.

Ziel ist die Unterstützung des „psychischen Immunsystems“. Die Positive Psychologie befasst sich mit den individuellen Stärken. Viele Menschen wissen gar nicht, wo ihre Stärken liegen, weil sie fast nur das sehen, was sie nicht so gut können. Stärken erkennen und lernen, sie gezielt zu nutzen fördert eine positive Persönlichkeitsentwicklung. sunflower

Was können Sie gut? Was sind Ihre Stärken? Holen Sie am besten diesbezügliche Auskünfte auch von Kollegen, Vorgesetzten, Bekannten ein. Wir sabotieren uns selbst, wenn wir unsere Stärken ignorieren.

Auch vermeintliche Schwächen können Stärken sein. Mangelnde Durchsetzungsfähigkeit etwa kann auch Empfindsamkeit sein. Kinder, die in der Schule gemaßregelt werden, weil sie vorlaut und frech erscheinen, sind bei näherem Hinsehen möglicherweise ausgesprochen extravertiert und kontaktfreudig. Eine Person, die zur Pedanterie neigt, arbeitet übergenau,  sehr ordentlich und gewissenhaft. Eine Eigenschaft, die zum Beispiel jeder Buchhalter braucht.

Zur Schwäche wird ein solches Verhalten erst, wenn der Mitarbeiter die falschen Aufgaben wahrnimmt. Viele Menschen haben kein Gespür für eigene Stärken, weil sie glauben, das etwas, was  ihnen leicht fällt, keine Stärke sein kann. Stärken leben von Training, Leidenschaft und Disziplin. Mit ihnen ist es, wie mit Muskeln – man kann sie aufbauen. Von diesem Auf- und Ausbau haben wir viel mehr als vom Versuch, unsere Schwächen auszubügeln, weil es einfach mehr Spaß macht, seine Talente zu entwickeln.

EnteUnter welchen Voraussetzungen können Sie künftig Ihre Stärken noch besser entfalten? Die Antwort auf diese Frage liefert Hinweise zur Stärkung Ihrer Stärken. Ein erfundenes Beispiel aus dem Tierreich: Eine Ente kann solange trainieren wie sie will, sie wird es im Klettern nie mit einer Katze aufnehmen können. Wenn sie jedoch zu lange und zu intensiv das Klettern  übt, werden möglicherweise ihre Leistungen im Schwimmen nachlassen.

Doch was ist, wenn wir bei uns auf Verhaltensweisen und Eigenschaften stoßen, die in der Tat kritikwürdig sind? Mit Sicherheit werden wir nicht zu einem besseren Menschen, indem wir auf uns einprügeln. Unsere Fähigkeit, uns weiterentwickeln zu können und zu wollen, lebt vielmehr von einer wohlwollenden Atmosphäre. Es ist wie in einer Freundschaft. Da weiß jemand um unsere Stärken und Schwächen, um unsere Erfolge und Niederlagen – und mag uns so, wie wir sind. Auch wenn er nicht alles gutheißt, was wir getan haben. Die Gegenwart eines solchen Freundes ist wie ein  Zu-Hause-Ankommen.

Martin Seligman hat in seinem Buch „Der Glücks-Faktor“ Aristoteles wiederentdeckt. Für ihn ist Tugend eine innere Haltung, in der man frei davon ist, was die anderen von einem denken, frei von Angst um sich selbst, frei von Intoleranz. Er nennt vier Tugenden mit denen man ein glückliches Leben führen kann. Klugheit, Tapferkeit, Maß und Gerechtigkeit.    

SmilingDer Königsweg zu innerer Stärke heißt Selbstakzeptanz. Die Bamberger Sozialpsychologin Astrid Schütz, hält es für die „definitiv beste Haltung“, wenn man zu sich sagen kann: „Ich existiere, alsobin ich wertvoll. Ich muss weder übermäßig beliebt sein, noch etwas Überragendes leisten, noch besonders gut aussehen.“ 

 Das Vertrauen, sich nicht perfektionieren zu müssen, um ein wertvoller Mensch zu sein, ist unsagbar befreiend. Ein solcher Glaube befreit von der quälenden Angst, nicht zu genügen. Also von jener Angst, die uns Menschen so schnell in gnadenlose Selbstüberforderung hineinmanövriert.  

Jeder gesunde Mensch kommt mit einem enormen Kraftreservoir  - einem starken Selbsterhaltungstrieb und einem starken Bedürfnis sich weiterzuentwickeln -  auf die Welt, ohne das wir gar nicht überleben könnten. Oft legt sich jedoch die Angst der Eltern vor jeder kleinen Gefahr über den eigenen Wunsch, das Leben mutig zu erkunden. Seligman spricht in diesem Zusammenhang von„erlernter Hilflosigkeit“.   Osterinsel

Wer sagt: „Ich bin nun mal so, ich kann mich nicht mehr ändern“, bedient sich oft nur einer bequemen Ausrede. Neuere Erkenntnisse der Psychologie und der Hirnforschung zeigen: Das Ego ist kein Gefängnis. Niemand ist lebenslang zu einem starren Ich verurteilt. Veränderungen und Lernen sind möglich, ein Leben lang. Allerdings brauchen Erwachsene mehr Ausdauer als Kinder. Denn über Jahrzehnte eingeschliffene Reaktions- und Verhaltensmuster, Angewohnheiten oder Routinen sind wie „neuronale Trampelpfade“ im Kopf. Oder wie Schnellstraßen: bequem und ohne viel Nachdenken zu befahren.  

Stärken weiter auszubauen, anstatt an Schwächen herumzudoktern – der sogenannte ressourcenorientierte Ansatz – gilt  als einer der effektivsten Wege der Persönlichkeitsentwicklung. Im Schnellstraßenbild bleibend könnte man sagen: Man nutzt den Schwung, der schon da ist und bleibt quasi auf gut ausgebauten Straßen in der gleichen Richtung unterwegs.        



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